Interview mit Paolo Conte in „La Republica“, 12.09.2020
"KOMPONIEREN IST WIE FILMEMACHEN. WICHTIG SIND DIE BLICKE, DAS LÄCHELN UND DAS RICHTIGE TIMING."
ASTI - Ein vom Hund zerkauter Tennisball, ein Oleanderstrauch, zwei hölzerne Sitzbänke. Kein Lüftchen regt sich im Garten der Villa am Corso Dante, wo Paolo Conte residiert. Sein Sohn Paolo sitzt am Klavier. Alles wirkt unbewegt wie ein Standbild - zur Bestätigung, dass die Bilderwelt, aus der der Cantautore aus Asti schöpft, immer eine filmische ist.
In jedem seiner Lieder erwacht eine Geschichte zum Leben und wird für uns sichtbar. “Gli impermeabili”, “Max”, “Sparring partner”, “Come di”, “Azzurro” sind nur einige der zahlreichen Meisterwerke von Paolo Conte. Auch Giorgio Verdelli, Regisseur der Dokumentation über Paolo Conte, schlägt viele Brücken von der Musik zum Film. „Paolo Conte, Via con me“, sein erster langer Dokumentarfilm, wurde 28., 29. und 30. September 2020 am Lido gezeigt. Von Pupi Avati über Jane Birkin bis Giovanni Veronesi kommen viele Weggefährten Contes zu Wort, Luca Zingaretti führt als Erzähler durch den Film. „Ein Lied ist ähnlich aufgebaut wie ein Film“, erklärt Conte am Schreibtisch seiner alten Kanzlei.
Maestro, wie fühlt es sich an, Ihr Leben im Film vor sich zu sehen?
So viele Jahre meiner Arbeit, meiner Karriere, meines Lebens zusammengefasst zu sehen, macht mich schon ein klein wenig wehmütig. Es ist viel Zeit vergangen. Aber ich fühle mich geehrt, vor allem wegen der liebenswürdigen und zartfühlenden Dinge, die andere Künstler und Freunde über mich gesagt haben.
Sie haben auch Filmmusik komponiert. Hat Ihnen das zugesagt?
Das Verhältnis des Filmkomponisten zum Regisseur hat, denke ich, immer etwas von einer Auseinandersetzung: Denn die Argumente des Regisseurs sind letzten Endes die schwerwiegenderen. Musik lässt sich aber nicht dehnen und wieder lockern wie ein Gummi. Auch die Sensibilität spielt eine Rolle. Was ich als Musiker in einer Musik spüre - ihre Farben, ihren Duft - kann von der Vision des Regisseurs abweichen. Aber es kann auch eine schöne Auseinandersetzung sein. Als ich beispielsweise mit Lina Wertmüller arbeitete, wollte sie die Musik schon vor den Aufnahmen haben. Also nahm ich zu Hause vorab die Musiken an meinem kleinen Klavier auf. Als Musiker würde ich mit der Arbeit am liebsten erst nach dem Schnitt beginnen. Dann könnte ich komponieren und wüsste: “So sieht der Film aus, er verändert sich nicht mehr”. Lieder und Filmmusiken zu komponieren unterscheidet sich eigentlich nicht sehr, es gibt Gemeinsamkeiten. Man muss die Zeit gliedern, mit Effekten, Schnitten, mit Lächeln und Blicken. Die besten Lieder sind meiner Meinung nach um die drei Minuten lang. Deswegen ist mir klar, dass die Liedkomponisten einiges von der Kunst der Filmemacher übernommen haben.
Wie lief es mit Benigni bei „Tu mi turbi“?
Roberto und ich haben uns immer hervorragend verstanden. Bei dieser Zusammenarbeit war ich leicht überfordert, weil ich am Klavier mehr oder weniger allein war, ein Orchester hätte nicht geschadet. Aber alle Chefs der Rea kamen dann, um mir Mut zuzusprechen, und es ist gut ausgegangen.
Der Regisseur Patrice Leconte erzählt, dass die Franzosen Paolo Conte so verehren, wie sie früher Marcello Mastroianni verehrt haben. Verstehen Sie das als Anerkennung?
Selbstverständlich, als große Anerkennung. Ich habe Marcello Mastroianni nie persönlich getroffen, aber wir wissen alle, wie bedeutend er war. Anscheinend hatte er mich sogar als Hauptdarsteller für den Film „Erklärt Pereira“ von Regisseur Roberto Faenza aus dem Jahr 1995 ins Spiel gebracht. Das fand ich aufregend, und es hat mich sehr gefreut. Er als Mann des Films hat in mir wohl etwas gesehen, das hätte funktionieren können.
Im Film erklären Sie, die Musik sei Ihnen immer das Wichtigste gewesen, doch in letzter Zeit kämen Ihnen auch Ihre Texte erinnerungswürdig vor. Wann ist dieses Bewusstsein entstanden?
Ich habe mich immer auf die Bedeutung der Musik konzentriert, denn sie setzt das Thema, sie bestimmt die Zeit. In letzter Zeit finde ich aber auch Trost in den Texten, die ich geschrieben habe. Wer Lust und Zeit dafür hat, dem empfehle ich, sich etwas in sie zu vertiefen. Wenn man ohne Reim und Versmaß schreibt, sind die Texte oft leicht verschlüsselt. Ich lege Wert darauf, dass sie auch beim ersten Hören wirken, dass der Hörer die Bedeutung gleich erkennt. Später kann man dann nach und nach die Rätsel und die Finessen erspüren, die sich darin verbergen.
Was haben Sie aus Ihren Liedern über die Liebe gelernt?
Eine schöne Frage, aber ich glaube nicht, dass ich etwas gelernt habe. Eher habe ich vielleicht anderen, einigen Freunden etwas beigebracht.
Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach der Pandemie?
Als erstes möchte ich alle ausverkauften Konzertsäle bedienen und zufriedenstellen. Meine Inspiration gleicht in dieser Zeit einem ruhigen Fluss.
Paolo Conte - Via con me
Filmstart Österreich: 17. September 2021
Fotorechte:
Daniella Zedda
Textquelle:
La Repubblica - Filmladen
Italienischer Film - Neu im Kino