Reisetagebuch "Salomons Diario": Folge 1
HÄNDISCHE EINTRÄGE ZWISCHEN SAN MICHELE, PELLESTRINA & LIDO
Venezia Pellestrina – Die Langsamkeit des Seins
Gerade noch durch das Gewühl der San Marco Touristen gekämpft. Tausende Menschen, die gerade dabei sind die Stadt für einen weiteren Tag zu okkupieren. Nur schnell raus aus diesem Hexenkessel aus verschwitzten Leibern und hektischen Reiseführern, die wild mit ihren zusammengeklappten Schirmen fuchteln um ihre Herde nicht im dichten Treiben zu verlieren.
Die Fahrt auf den Lido in einem halbleeren Vaporetto entkrampft. Die Brise prickelt angenehm auf der Haut, und mit einem ausgeliehenen Fahrrad setze ich nach Pellestrina über. Die Einsamkeit des kilometerlangen Sandstrandes hat eine reinigende Wirkung auf Körper und Geist. Ich schwimme so weit hinaus, bis der Strand nur mehr ein schmaler Streifen ist, lasse mich sanft von der Dünung tragen und starre minutenlang in das unendliche Blau des Himmels. Das Meer ist hier draußen angenehm kühl und Venedig weit weg...
Venezia San Michele – Agosto Mezzogiorno
Die Mittagshitze ist flirrend auf der Friedhofsinsel. Selbst die Möwen sind heute auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen. Bis auf den Friedhofsgärtner, der sich mit dem Handrücken den Schweiß von seiner Stirn wischt und pfeifend die Luft ausstößt ist niemand weit und breit zu sehen. Die Zigarette, die er sich ansteckt, verstärkt seinen pfeifenden Atem, als er sich mit seinem Karren abmüht, dessen Räder im Kies versinken.
Über das Grabmal von Ezra Pound huscht eine Eidechse und das Knirschen der kleinen weißen Steine unter den Sohlen meiner Schuhen klingt ohrenbetäubend in der Stille der Toteninsel. Ich verharre und lausche dem eigenen Herzschlag.
Die Sonne steht im Zenit und versengt das Gras, das sich zwischen den Ritzen der in den Wänden eingelassenen Grabsteine seinen Weg bahnt. Das Wasser der Lagune ist von Algen durchsetzt und hat die Konsistenz von blaugrünem Gelee. Eine kleine braune Schlange liegt unbeweglich in der Mitte eines Grabdeckels und bewacht die schlummernden Seelen, die hier seit vielen Jahren ruhen.
Venezia Lido – Und ich mache es immer wieder und wieder und wieder...
Die inneren Stimmen, die durch meinen Kopf pflügen werden stärker und stärker und zwingen mich dazu es zu tun…Kann mich nicht dagegen wehren.
Muss wieder den roten Mann besuchen, auf meinem Trip durch das verlassene Ospedale a Mare. Letztendlich nach vielen Jahren wortloser Dialoge mit ihm, beugt er heute sein Haupt vor mir.
Hoffe meine schlechten Träume werden ab diesem Augenblick nicht mehr wiederkehren…
Mehr zu seinem aktuellen Projekt unter:
#veneziabluinprogress
Veranstaltungshinweis:
Am 16.9.2016 widmet sich der eletronische Konzertzyklus DER ROTE BALLON den Fotoarbeiten von Wolfgang Salomon, vertont gewissermaßen Sichtbargewordenes.
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Quellenverweis zu Bild & Wort
Wolfgang Salomon
Der Autor und Fotograf betreibt mit seinem Bruder seit über 10 Jahren die Spezerei in Wien, eine kleine Osteria mit norditalienisch zugeschnittener Speisekarte, deren Ausführung den Koch in Wolfgang Salomon hervorbringt. Zudem ist er für zwei Bestseller in den Bücherregalen der letzten Jahre zuständig. Triest abseits der Pfade und Venedig abseits der Pfade machten ihn über Wien hinaus bekannt. Ein Tausendsassa mit Hang zu Italien, der zu unserer Freude italissimo exklusiv Auszüge aus seinem Reisetagebuch zur Verfügung stellt - ein klassisches "Fortsetzung folgt ...".